Als er von seiner Krebserkrankung erfuhr, arbeitete Roger Willemsen gerade an einem neuen Buch. 'Wer wir waren' sollte es heißen und unsere jetzige Gesellschaft rückblickend aus der Zukunft betrachten. Ein spannendes Unterfangen, denn schließlich verändert sich der Blick und die Bewertungen durch den Lauf der Zeit. Leider konnte der Autor die Arbeit daran aber nie beenden.
Was Roger Willemsen allerdings als seinen letzten Text vor seinem Tod am 7. Februar 2016 hinterließ, war eine Rede, die auf dem bis dahin schon erarbeiteten Material beruht. Er hielt sie bei seinem letzten öffentlichen Auftritt. Die so genannte „Zukunftsrede“ liegt in drei Fassungen vor: einer langen, einer für die Rede gekürzten und einer – wie jetzt im Booklet zu lesen ist – „... kurzen Fassung mit zusätzlichen handschriftlichen Änderungen und eingeklammerten Passagen“.
Aus diesen drei Vorlagen wurde für das (Hör-)Buch 'Wer wir waren'. Gelesen wird es nun von Christian Brückner, den die meisten Hörerinnen und Hörern wahrscheinlich als deutsche Synchronstimme von Robert de Niro (er-)kennen werden.
Mit Life Crisis
Als Thema, dessen er sich vor allem anfangs recht humorvoll annimmt, hat sich Roger Willemsen nichts Geringeres als der „Krise der ganzen Welt“ angenommen. Die Einschätzung, die er dazu widergibt, lautet einfach, dass alles immer schlechter geworden ist: „Luft und Wasser sowieso, dann die Manieren, die politischen Persönlichkeiten, der Zusammenhalt unter den Menschen, das Herrentennis und das Aroma der Tomaten. Ja, der Globus hat Homo sapiens, und dessen einzige sichere Zukunft ist die Krise ...“
Witzig ist, dass er einmal sogar Dieter Bohlen als eines der größten Übel unserer Zeit benennt. Bei seinen Gedanken über die 'Moderne' sagt er auch, dass dieser Begriff Bedeutung hatte, als sich unter anderem „... Zeitungsressorts 'Modernes Leben' nannten und die dümmste Musik 'Modern Talking' hieß. Inzwischen hat sich der Begriff zurückgezogen und dem Eintritt in die Beliebigkeit der Postmoderne Platz gemacht.“
Doch keine Angst. Die Literaturkritikerin Insa Wilke schreibt im Booklet dazu, dass auch dieser Text hoffnungsvoll ist, „... fordert er doch überdeutlich zum Handeln und Umdenken auf. Die 'Zukunftsrede' ist Roger Willemsens Vermächtnis.“
Nach 'Der Titel ist egal' und 'Kopfkino' widmet sich der Kabarettist Martin Zingsheim nun einem Thema, mit dem er sich als Vater von (bisher) drei Kindern bestens auskennen dürfte: dem „Überleben mit Nachwuchs“, wie es im Untertitel zu 'Eltern haften an ihren Kindern' heißt.
Im Booklet zu ' Eltern haften an ihren Kindern' kündigt Martin Zingsheim übrigens für 2017 bereits das vierte Kind an, gefolgt vom ersten Zusammenbruch 2018, Burn-out dann 2019 und erstes Comeback in 2020. Also schon da stellt er klar, dass die Work-Life-Balance mit den lieben Kleinen nicht ohne Risiko ausgesteuert werden kann.
Wer erst einmal raus finden möchte, ob ihm der Humor von Martin Zingsheim zusagt, kann sowohl zwei Hörproben beim Verlag 'tacheles!/Roofmusic' abrufen als auch noch auf seiner eigenen Seite (Link siehe unten, Stand: 30.11.2016) das Lied 'Die Neinties' als Free Download runterladen.
Inhaltlich ist das Stück ein bisschen wie 'Lieder' von Adel Tawil. Vielleicht beziehen sich folgende Lyrics auch tatsächlich als eine Art Antwort darauf: „Wir hatten niemals Lieder, was wir hatten, dass war Pech./ Jede 'Saturday Night' meinten die Fantas, jetzt ist sie weg. (Das stimmte aber nie).“
Hörbuch auf 3 CDs von Martin Zingsheim voraussichtlich am 2. Dezember 2016 erhältlich. Mehr Infos:http://www.zingsheim.com/
Martin Zingsheim live und in Farbe 2016 mit 'Kopfkino':
Heinz Strunk zu hören, toppt das Lesen bei Weitem. Nun hat der Autor sich eines neuen Themas angenommen: Dem realen Mörder Fritz Honka, der in den Siebziger Jahren mehrere Frauen in Hamburg umgebracht hat. Kennen lernte er sie in einer Kneipe, die es auch heute noch gibt: 'Der goldene Handschuh'. Und eines ist klar: Fiete macht Fisimatenten!
„Stellt im August sich Regen ein, so regnet’s Honig und guten Wein“, heißt es in einer Bauernregel. Und es ist ja im August 2015 wirklich sowohl der eine oder andere Tropfen mehr vom Himmel gefallen als auch eine Latte Werke veröffentlicht worden, die scheinbar alle erst über einen längeren Zeitraum gereift sind. Zwischen den aktuellen und vorherigen Alben von MoTrip, Chefket, Method Man, Dr. Dre und Alina Bronsky mit Sophie Rois liegen nämlich mindestens drei Jahre.
MoTrip – So wie du bist (Single-CD feat. Lary)
2012 konnte MoTrip mit seinem Album ’Embryo’ gleich die Top Ten knacken. Doch dann ließ das Nachfolgewerk ’Mama’ etwas auf sich warten. Dafür startet er jetzt wieder erfolgreich durch. Mit ’So wie du bist’ landete er schon im Juli seinen bisher größten Single-Hit. Geholfen hat dabei wohl vor allem die Verwendung in einem Werbespot für die Kopfhörer von ’Beats by Dre’ mit Fußballstar Bastian Schweinsteiger und das Musikvideo mit Lena Meyer-Landrut als Tänzerin im ’Tollhaus’. Aber weil sich so ein schönes Liebeslied als physischer Tonträger viel schöner an geliebte Personen verschenken lässt als so eine runtergeladene Datei, hat ’Universal’ nun noch eine Single-CD davon nachgelegt.
Produziert wurde das Ganze von den Beatgees, die davor unter anderem für D-Flame und SpongeBob gearbeitet haben (Kritiken dazu hier). Für das aktuelle Album ’Mama’ von MoTrip bauten sie außerdem noch die sanft dahin flirrende Kopf-hoch-Hymne ’Selbstlos’ für eine bessere Welt, bei der Chima ein paar Backing Vocals beisteuert und gegen Schluss noch ein Kinderchor aufgefahren wird. Bei so viel musikalischem Einsatz an anderer Stelle ist es daher schon ein wenig schade, dass die Single-CD jetzt nur zusätzlich das Instrumental von ’So wie du bist’ enthält. Aber dann kann wenigstens jede(r) selbst dem geliebten Herzblatt ein Ständchen dazu bringen.
Single-CD seit 14. August 2015 erhältlich. Mehr Infos:http://motrip.de/
Chefket – Nachtmensch
1981 geboren, 2010 Gewinner bei einem Talentwettbewerb von Berliner Radiosender Fritz, 2015 mit ’Nachtmensch’ Platz 9 der Charts erreicht. Dass der Erfolg solange auf sich warten ließ, verwundert schon ein bisschen bei Chefket. Aber nun hat es ja geklappt mit dem ’Fliegen’. In dem gleichnamigen Stück heißt es in den Lyrics: „Immer nur nach vorn seit dem ersten Schritt./ Ohne Flügel geboren, doch wir sterben mit./ Es dauert eben lang, bis ein Flügel wächst.“
Videos wurden – abgesehen von den Klavier-Session-Versionen einiger Tracks – allerdings erst einmal zu ’Rap & Soul’ und ’Glücklichster Rapper’ gedreht. Bei dem zuletzt genannten wird im Splitscreen gezeigt, wie alles astrein beim ihm läuft. Oder eben auch nicht, wobei das Ende mit einem tollen Looping-Effekt endet. Produziert hat das Ganze Farhot, der auch für den Rest des Albums die musikalische Leitung übernommen hat. Zudem hat er übrigens den Beat für ’Hype’ von MoTrip gebaut, bei dem Chefket die Backing Vocals übernommen hat. Die Bandbreite der Instrumentierung ist dabei wirklich beeindruckend. Während ’Lass gehn’ fröhlich swingt, ist ’Träume’ wirklich schön relaxed mit melancholischem Sound und einem warmklingenden Sample von Melody Gardot. Da passt der letzte Vers bei ’Immer Mehr’ ganz am Ende des Albums wie die Faust aufs Auge: „Doch wenn wir ankommen, wollen wir noch immer ein bisschen mehr.“
Alina Bronsky – Baba Dunjas letzte Liebe (Hörbuch gelesen von Sophie Rois)
Beim Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 war Baba Dunja „... noch sehr jung, fünfzig irgendwas“. Inzwischen wurde Obama Präsident, sie ein bisschen älter und bekannt als die erste Frau, die in ihr Dorf zurückgekehrt ist. Es liegt in der so genannten „Todeszone“. Aber das macht Dunja nichts, denn wer will schon „... glauben, dass die Todeszone sich an die Grenzen hält, die Menschen auf Landkarten einzeichnen.“ Das Leben dort mit Nachbarn wie dem sterbenskranken Petrov und dem fast hundertjährigen Sidorow plätschert im Grunde einfach vor sich hin. Doch als ein Fremder mit seiner Tochter nach Tschernowo kommt und kurz darauf mit einer Axt erschlagen wird, gerät der Alltag dort völlig aus den Fugen ...
Alina Bronsky erzählt unaufgeregt wie ihre Hauptfigur aus dem Leben einer Frau, die schon so Einiges erlebt hat und mit ganz einfachen Dingen zufrieden ist. Letztendlich geht es um Glück, Freundschaft und den Glauben an das Gute. Sophie Rois – mit 54 Jahren noch lange nicht so alt wie die Figur, der sie im Hörbuch auf drei CDs ihre Stimme leiht – erweckt Baba Dunja sehr überzeugend zu Leben. Dabei hat die Dame auch ihre Eigenarten. Und wenn die bodenständige Russin findet, dass ihr Präsident ein guter Mann ist, kann ihr das kaum verübelt werden. Schließlich zählt am Ende vor allem eines: Das zu verteidigen, das man liebt!
Mr. Mef is back – nachdem es in den letzten Jahren sehr ruhig um ihn geworden war. Zwar gab es Kollabos wie ’Blackout 2’ (2009) mit Redman, ’Wu-Block’ mit The Lox (2012, Kritik hier) und natürlich ’A Better Tomorrow’ (2014) mit dem Wu-Tang Clan, aber sein letztes Solowerk ist auch schon neun Jahre alt. Dass er jedoch nichts verlernt hat, zeigt er nun mit ’The Meth Lab’. Das Cover erinnert an eine blaufarbene Variante der Droge Crystal Meth, wie sie auch in der Fernsehserie ’Breaking Bad’ thematisiert wurde. Überhaupt nimmt Method Man recht deutlich Bezug auf diese TV-Geschichte – sei es in den Lyrics, aber auch in den Videos. Alles rund soweit und ein großer Wurf für das mit ’Tommy Boy’ kooperierende Label von Hanz On, der bei mehr als der Hälfte der Tracks mitwirken darf. Immerhin neunmal dabei ist Streetlife, mit dem er seit 1994 zusammenarbeitet. Ihr zusammen 2003 aufgenommenes ’Even If’ ist sogar noch als Free Download unter http://www.wutang-corp.com/media/downloads.php erhältlich.
Vom Wu-Tang Clan sind übrigens nur Masta Killa bei ’Intelligent Meth’ sowie Raekwon und Inspectah Deck dabei. Ihr vereint eingespieltes ’The Purple Tape’ ist allerdings mit dem Beat von J57 nicht allzu spannend geraten. Dafür wird im Refrain der legendäre Ausspruch „Wu-Tang is for the children“ von Ol' Dirty Bastard bei der Grammy-Vergabe zitiert, was im Ohr hängen bleibt. Mit dem 45-jährigen Redman hat Meth dann noch fürs flott pumpende ’Straight Gutta’ einen weiteren Veteran zurück ans Mic geholt, mit dem er in der Vergangenheit schon einige große Kollabos abgeliefert hat. Kein Wunder also, dass dazu auch ein Video gedreht wurde. Das Stück selbst ist fast schon etwas albern, macht aber Laune, wobei ’50 Shots’ leichtfüßiger für Spaß sorgt. Noch besser sind aber sowieso die düstereren Sachen wie zum Beispiel das großartige ’Water’, ’Symphony’, das mit Rockgitarre flirrende ’Soundcheck’, ’Bang Zoom’, das von einem Piano-Sound angetriebene ’Rain All Day’ und ’Lifestyles’. Eine gute Nachricht ist zudem, dass er die Fans nicht noch mal so lange warten lassen will, denn im ’Outro’ kündigt er schon die nächste, lange verschobene Veröffentlichung an: „’The Meth Lab’ is closed. ’Crystal Meth’ coming real soon.“
Mit unzähligen Ideen und Hits hat Dr. Dre in der Vergangenheit HipHop-, wenn nicht sogar Musik-Geschichte, geschrieben. Entsprechend hoch sind die Erwartungen, wenn Neues von ihm kommt. Das ’Intro’ erklärt wie in einer Dokumentation die Geschichte Comptons, einem Vorort von Los Angeles und der Geburtsstätte von Dre. Danach geht ’Talk About It’ direkt in die Vollen, bevor ’Genocide’ einen funky Gangsta-Sound mit Ragga-Gesang von Candice Pillay kombiniert. Mit einer ordentlichen Portion Soul fährt schließlich ’It’s All On Me’ auf, stiehlt aber dem anschließenden ’All In A Day’s Work’ damit schon etwas die Schau. Wer lieber seine Rock-Einflüsse bedient haben möchte, sollte einfach auf ’Issues’ mit Ice Cube zurückgreifen.
Natürlich ist Dres alter NWA-Kumpan nicht der einzige Wegbegleiter, der ihm hier die Ehre erweist. Von Snoop Dogg über Eminem, Xzibit und The Game bis Kendrick Lamar bei gleich drei Tracks sind fast alle dabei, deren Karrieren er entscheidend geprägt hat. Seine neue Entdeckung nennt sich Anderson .Paak (Ja, der schreibt sich mit einem Punkt vor dem zweiten Teil seines Künstlernamens). Zumindest hat der gute Doktor ihn gleich für ganze sechs Tracks verpflichtet.
Eazy-E, der mit ihm ebenfalls bei NWA war und mit dem er sich vor dessen Tod zerstritten hatte, lässt er bei 'Darkside/Gone' noch einmal mit einem Sample zu Wort kommen. Davor erwähnt er schon an einer frühereren Stelle, dass er ihm in schweren Zeiten geholfen hat, auch wenn es ihm selbst schwer fiel („New apartment, no fridge, no mattress, no table, no cable./ And all I hear is my girl in my ear./ And this nigga Eazy asking for his car back, homie./ I would've never saw this happening from that far back, homie“). Die Zeit heilt alle Wunden – und sie wird auch zeigen, ob 'Compton' das Zeug zu einem Klassiker wie 'The Chronic' hat. Denn obwohl nicht alle Stücke zwingend Granaten sind, gleitet es geschmeidig ins Gehör und wird sich alles in allem zurecht einen der vorderen Plätze in den Jahresrückblicken sichern können.
1982 veröffentlichte Haruki Murakami ’Wilde Schafsjagd’, mit dem ihn ein erster größerer Erfolg gelang. Eine Art Vorgeschichte dazu liefert nun ’Wenn der Wind singt’.
Viel los ist nicht im August 1970. Meistens hängt der Erzähler einfach mit seinem Freund „Ratte“ in Jays Bar ab. Beide versuchen sich als Schriftsteller, kommen aber nicht so recht mit ihren Arbeiten voran ...
David Nathan, vielen vor allem als deutsche Stimme von Johnny Depp im Ohr, macht seine Sache bei der ungekürzten Lesung fürs Hörbuch auf insgesamt drei CDs wie immer professionell.
Fazit: Wer Lust auf etwas skurrile Alltagsgeschichten hat, kommt hier voll auf seine Kosten.
P.S.: Fragen dazu? Dann gerne kommentieren! Und wenn dir der Artikel so gut gefallen hat, dass du dafür ein paar Cent übrig hast, gerne hier überweisen (öffnet in neuem Fenster):Paypal.me/popshottie
Nachdem sich der Psychothriller 'Eis bricht' von Raimon Weber nach einer überarbeiteten Neuauflage des erstmals 2007 erschienen Buchs als eBook schon gut verkauft und entsprechend die Bestsellerliste angeführt haben soll, folgt nun auch die Aufbereitung als Hörbuch. Und wie ein normaler Mann in Unna die verbrecherischen Abgründe dieser Gesellschaft unfreiwillig kennenlernt, ist durchaus hörenswert.
12 Jahre ist es her, dass bei einem Einbruch ins Haus von Henning Saalbach dessen Sohn getötet wurde. Während sich seine Ex-Frau in eine esoterische Welt zurückgezogen hat, lässt er sich immer weiter gehen: „Seit geraumer Zeit spürte Henning die Abnutzung seines Körpers: Kurzatmigkeit, Schweißausbrüche und ein wiederkehrendes, schmerzhaftes Ziehen im Magen. Er versuchte, den Alkoholkonsum zu reduzieren. Es beunruhigte ihn, welche Probleme es ihm bereitete, weniger als zwei randvoll mit Wodka gefüllte Wassergläser vor dem Schlafengehen in sich hinein zu kippen.“
Das Einzige, was ihn im Grunde vor dem totalen Abrutschen bewahrt, ist der Gedanke an Rache. Denn die Entlassung des Täters aus dem Gefängnis in Werl steht kurz bevor. Alles scheint sicher auf das Ziel zuzusteuern, dem Kerl in Eigenjustiz hinzurichten. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse, nichts läuft wie geplant und Henning muss sich entscheiden, was wirklich zählt...
Wer zuletzt lacht
'Eis bricht' ist zum Teil harte Kost, bei der Kinder Opfer schlimmer körperlicher und seelischer Gewalt werden. Doch es gibt auch Lichtblicke, Hoffnung und sogar amüsante Passagen, wenn zum Beispiel über die frühere Arbeit von Henning als Autor berichtet wird.
Einer seiner größten Erfolge, auf den er immer wieder mal angesprochen wird, ist die Geschichte eines Seehundes, der ein Waisenkind vor dem Ertrinken rettet. Von daher scheint folgende Beschreibung auch ein wenig auf Raimon Weber selbst zuzutreffen: „Henning hatte in der Vergangenheit bereits Drehbücher für verschiedene Serien geschrieben. Man schätzte seine Vielseitigkeit und hin und wieder war es ihm sogar gelungen, trotz der strikten Vorgaben seinen schrägen Humor unterzubringen.“
Gelesen wird das Ganze zur düsteren Thematik passend in eher nüchternem, unaufgeregtem Tonfall von Erich Räuker, der unter anderem schon Mark Strong, Elias Koteas, Liam Cunningham und vor allem Richard Dean Anderson in 'Stargate', 'Farly Legal' und einer Nachsynchronisation von 'MacGyver' seine deutsche Stimme lieh.
Fazit: Manchmal scheint es, als würde sich die Geschichte wie ihre Hauptperson eher etwas dahinschleppen, als wirklich Fahrt aufzunehmen. Aber dann kommt wieder einmal eine kleine und überraschende Wendung, mit der absolut nicht zu rechnen war. So schafft es Raimon Weber, die Leser für einige Stunden spannend zu fesseln.
mp3-CD seit 6. Dezember 2013 im Handel erhältlich.
Es war einmal... ein Singer/Songwriter namens Wolfgang Müller, der kam auf die Idee, 'Grimms Märchen' von 17 der besten Indie-Songwritern Deutschlands vorlesen zu lassen. Herausgekommen ist dabei eine Doppel-CD, die nicht nur Kinder ins Staunen, Grübeln, Lachen und Fürchten versetzen wird.
„Es war einmal...“, so fängt auch Olli Schulz an zu erzählen, „... ein Mann und eine Frau, die wünschten sich schon lange vergeblich ein Kind. Endlich machte sich die Frau Hoffnung, der liebe Gott werde ihren Wunsch erfüllen.“
Doch weil der Mann für seine schwangere Frau aus des Nachbarsgarten Rapunzeln, also eine Art Feldsalat, stibitzt und dabei von der Besitzerin erwischt wird, müssen sie ihr Kind der Zauberin überlassen. So weit, so gut, so bekannt – doch wie Olli Schulz 'Rapunzel' vorträgt, ist schon sehr spannend.
Interessant ist aber auch, dass die meisten der hier vorgetragenen Märchen gar nicht mit „Es war einmal...“ eingeleitet werden. Lediglich Ingo Pohlmann verwendet die Redewendung bei 'Der Teufel mit den drei goldenen Haaren' und Markus Berges, der Sänger von Erdmöbel, beim sehr gruseligen 'Frau Trude'. Diese beiden Beispiele zeigen direkt eine weitere Stärke des Projekts, denn die Vorleser durften ihre jeweilige Geschichte selbst bestimmen und wählten dabei zum Teil eher unbekannte Texte aus.
Knusper, Knusper, Knäuschen, was liest wohl Knyphäuschen?
ClickClickDecker entschied sich zum Beispiel für das lustige 'Die kluge Else', Jan Plewka von Selig für 'Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein'. Damit traf er anscheinend auch den Nerv von der Hamburger Tattoo-Künstlerin Jules Wenzel, die unter anderem dazu eine Illustration fürs Booklet angefertigt hat. Es gibt auch ein Häuschen mit Knusper-Schriftzug zu sehen, obwohl 'Hänsel und Gretel' nicht enthalten ist.
Fehlen dürfen aber dafür natürlich nicht Sachen wie 'Dornröschen', 'Aschenputtel', 'Der gestiefelte Kater' und 'Der Froschkönig oder Der eiserne Heinrich', das sich Gisbert zu Knyphausen geschnappt hat. Zwischen den Märchen spielt Dinesh Ketelsen, der ehemalige Gitarrist von Fink, kurze Interludes mit Titeln wie 'Feiner Schlaf', 'Teufelsblues' und 'Das Ende vom Lied'. Das dürfte wahrscheinlich eher den Eltern gefallen, den jungen Hörern aber keineswegs schaden.
Fazit: Rund um das 200-jährige Jubiläum von 'Grimms Märchen', die in erster Auflage 1812 veröffentlicht wurden, gab es einige CD-Projekte, die den alten Geschichten neue Gewänder verpasst haben. 'Es war einmal und wenn sie nicht' ist dabei nun aber wirklich noch einmal ein interessanter Ansatz gelungen, bei dem viel für Groß und Klein zu entdecken ist.
Doppel-CD voraussichtlich ab 8. November 2013 im Handel erhältlich.
Es war einmal live und in Farbe 2013: 10.11. Hamburg – Uebel & Gefährlich (Lesung mit Gisbert zu Knyphausen, Jan Plewka, Moritz Krämer, Francesco Wilking, Tom Liwa, Wolfgang Müller, Clickclickdecker und Tex. Special Guest: Dinesh Ketelsen)
Mit seinem ersten Roman ’Fleisch ist mein Gemüse’ landete Heinz Strunk einen humorigen Knaller. Ganz überraschend war das zwar nicht, hatte er doch auch schon zum Beispiel mit der Comedy-Truppe Studio Braun und derVIVA-Sendung 'Fleischmann TV'seinen individuellen Humor etabliert. Aber egal. Nun gibt es Nachschlag – mit einem zweiten Roman namens ’Die Zunge Europas’!
Zur Story: Der Sommer brütet heiß wie nie – und Markus Erdmann steckt in einer Art Midlife Crisis. In der Beziehung und im Job geht es nicht richtig voran. Dabei entwickelt er als Gag-Schreiber täglich die abstrusesten Einfälle für Sven, den „Mann mit dem häufigsten sexuellen Kontakten in Folge von Bühnendarbietungen im deutschsprachigen Raum“.
Aber leider werden in letzter Zeit die Geistesblitze von Markus meist abgelehnt. Gerne würde er zum Beispiel mal sehen, dass sämtliche Gewinnspiel-Moderatoren gezwungen werden, „vor jeder Sendung eine 0,7 Liter Flasche Korn oder Weinbrand zu leeren. Eine sehr gute und vor allem lustige Idee. Aber man weiß ja, welche Chance lustige Ideen in Deutschland haben.“
Mal inspirieren ihn seine alltäglichen Beobachtungen zu Shows wie dem „Comedy- Bäcker“, mal zu einem Text über Schnell- und Langsamesser. Sogar die Umsetzung malt er sich für diese zweite Idee schon im Geiste aus, wobei er auch hier kaum Chancen sieht, dass das jemals klappt: „Extrem unwahrscheinlich, dass es der Text bis zur Vertonung schaffen würde. Vielleicht erbarmt sich ja Xavier Naidoo. Das wäre doch mal ’ne coole Geste. Xavier, deine Chance, etwas Gutes zu tun. Etwas wirklich Gutes.“
Herrlich ist zudem, wenn Markus etwas „in Klammern“ erwähnt. Was er relativ häufig macht! Seine Premium-Schnacks stammen übrigens alle von seinem „bald 80-jährigen Onkel Friedrich. Onkel Friedrich ist ein Spitzentyp und hat außerdem den besten Spitznamen der Welt: Die Zunge Europas.“ Und genau der kann vielleicht auch Markus aus der Sackgasse seines Lebens führen…
Die Geschichte erscheint etwa zeitgleich als Roman und als Hörbuch. Auf sechs CDs trägt Heinz Strunk das Ganze fast sieben Stunden lang selber in seiner unnachahmlichen Art vor. Gelobt werden muss dabei wieder einmal die Beobachtungsgabe und der Sprachwitz des Autors, der seinen (Anti-)Helden mit bisweilen nachdenklich-traurigen Zwischentönen bereichert.
Fazit: Heinz Strunks wilde Wortakrobatik ist und bleibt unschlagbar. Wer macht sich noch die Mühe, sich eine Art Krankheit auszudenken wie das „Wutgerinsel, das sich bald löst und zum Herzen wandert“? Wer kommt bei alternden Pärchen darauf, dass mit der Zeit aus der Löffelchenstellung die „Schöpfkellenstellung“ wird? Gestern noch ungooglebar, zukünftig aber vielleicht im Duden notiert. Danke, Heinz!
Vor ein paar Monaten, am 3. Juli 2008, saßen Philip Steele und Ben Becker in einem Studio und zündeten eine Kerze an. Sie brennt zum 37. Todestag von Jim Morrison, dem Sänger der Doors, dessen letzte Tage sie zu der Zeit gerade mit dem Hörbuch 'City Of Light' nachzeichnen. Nun kommt drei Monate später das Ergebnis in die Läden.
Die Geschichte beginnt Anfang 1971. The Doors haben ihr letztes Konzert gespielt. Jim Morrison ist das Leben in Los Angeles leid. Lieber folgt er seiner geliebten Pamela nach Paris. Doch der Versuch, ihre Liebe – und sich selbst – wieder zu beleben, läuft nicht ganz so gut. Ein Ausflug nach Spanien und Marokko soll es richten. Aber auch nach dieser Reise entfernen sie sich immer mehr von einander...
Wie es wirklich war, weiß Autor Philip Steele natürlich auch nicht. Er verwebt hier Fakten mit Fiktion, um die Geschichte eines verzweifelten Superstars zu erzählen. Leider trifft er dabei für meinen Geschmack nicht ganz den richtigen Ton. Manchmal versucht er zum Beispiel das Ganze anscheinend geheimnisvoll anonym halten zu wollen und nennt Morrison nicht namentlich, obwohl jeder weiß, wer gemeint ist.
Zwischendurch trägt Steele zudem selber Zeilen von Morrison vor, wobei er immer etwas zu sanft klingt. Vor allem im Vergleich zur rauen Stimme Ben Beckers. Als Erzähler passt er gut, aber den Jim Morrison, damals gerade mal 27 Jahre alt, lässt er damit leider auch etwas alt aussehen.
Fazit: 'Die letzten Tage von Jim Morrison', wie 'City Of Light' im Untertitel heißt, bieten leider weder besonders spannende Ereignisse noch eine besonders starke Entwicklung. Fast vier Stunden plätschert das Ganze dahin, ohne den Hörer wirklich zu berühren.
:
Der Blog-Autor arbeitet seit 1995 als Musikjournalist. Hier veröffentlicht er seine Texte über Musik, Hörspiele, Bücher und mehr unabhängig von Redaktionsschlüssen, Seitenplanungen und anderen Einflüssen!
*****
Impressum: http://popshot.over-blog.de/impressum-disclaimer.html