Gut ein Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung Deutschlands kam Roger Willemsen auf die Idee, sich ein eigenes Bild von Land und Leuten zu machen. Dabei entwirft er keine allgemeingültige Beschreibung, sondern fing 2001 auf seiner ’Deutschlandreise’ eher Momentaufnahmen ein.
Beginnen tut der Reisebericht in Rostock, führt weiter über Städte wie Lichtenhagen, Eisleben, Heidelberg und Oberstdorf bis sich schließlich der letzte Track auf der zweiten CD Wilhelmshaven widmet. Unter anderem besucht er auch Kap Arkona, den „nördlichsten Punkt Deutschlands“ – wie er fälschlicherweise angibt. Der so genannte Ellenbogen auf Sylt liegt nämlich fast einen halben Breitengrad nördlicher. Selbst Berlin bekommt nur eine wenige Minuten langen Track, bei dem es vor allem um das angebliche Verhalten von Japanern im Hotel geht.
Der unnachgiebige Blick aufs Alltägliche und die Versuche, diesem etwas Besseres abzugewinnen, kann lustig sein. Aber unter Umständen bleibt das Lachen auch aufgrund der etwas deprimierenden Wirklichkeit im Halse stecken. Das Erschreckende ist, dass sich seit der Erstveröffentlichung der ’Deutschlandreise’ in gut anderthalb Jahrzehnten kaum etwas verändert hat, wie mir zuweilen scheint.
Musik liegt in der Luft
Interessant ist, dass Roger Willemsen schon vor der ’Zukunftsrede’ (siehe Kritik zu 'Wer wir waren') und seinen Gedanken zur Moderne insbesondere eine bestimmte Band einfach nicht leiden konnte – die von Thomas Anders und Dieter Bohlen: „An dem Kiosk ’Der scharfe Imbiss’ lockt der Fruchtlutscher, bekannt aus der TV-Werbung. Doch weil die nächsten Musiker, die in Rostock Auftritte ankündigen, DJ BoBo heißen und Modern Talking, entscheide ich mich aus Gründen der Wiedergutmachung für den guten Dorati-Butterkeks.“
Doch es gibt natürlich auch moderne Künstlerinnen, die zumindest einen passenden Soundtrack zum gerade Erlebten liefern und somit eine halbwegs positive Erwähnung abgreifen können. Mit einer zeitweiligen Reisebegleitung überquert er unglücklich einen Singvogel. Die Situation beschreibt der Autor mit Bezug auf die Band Glashaus so, wobei er sich selbst neue Lyrics zur Melodie des Top-50-Hits ausdenkt: „Es gibt kein Geräusch. Und wir drehen uns auch nicht um. Aber während wir Cassandra Steen singen hören ’Was immer es ist’, stellen wir uns den Blutmatsch auf dem Asphalt vor. ’Was immer es ist, ich verzeihe dir’."
Bei dem Hörbuch handelt es sich um eine vom Autor selbst bearbeitete Lesefassung. Einer der wenigen Hinweise darauf, dass es sich bei der Veröffentlichung nun um eine überarbeitete Version handelt, zeigt vor allem der traurige Satz am Ende der Biografie im Booklet: „Er starb am 7. Februar 2016 in Wentorf bei Hamburg.“
’Deutschlandreise’ ab 26. Januar 2017 in neuer Auflage erhältlich. Mehr Infos und Hörprobe unter: http://roofmusic.de/produktkatalog/produkt/1064-deutschlandreise
Das könnte dazu passen:
Heinz Strunk – Der goldene Handschuh (Hörbuch gelesen vom Autor)
Auch das ist Deutschland: Der vom Leben gezeichnete Fritz Honka (1935-1998) ermordet mehrere Frauen in Hamburg, bis er schließlich gestellt wird. Heinz Strunk, sonst eher absurd-lustig unterwegs, blickt hier in menschliche Abgründe.
Dein Song 2014 (mit u.a. DJ BoBo, Cassandra Steen und Bosse)
Roger Willemsen findet den Schweizer Popmusiker zwar nicht so dolle, aber sein Schützling bei ’Dein Song 2014’ dürfte ihm dankbar sein. Mit seiner Hilfe konnte er sich gegen die Konkurrenz durchsetzen, die unter anderem Hilfe von Bosse und Cassandra Steen bekam.
Kommentiere diesen Post …