Marc Brost leitet das Hauptstadtbüro von DIE ZEIT in Berlin. Heinrich Wefing ist Mitglied deren politischer Redaktion. Zudem sind sie Väter. Da passt es, dass sie der Frage nachgehen, die im Untertitel zu 'Geht alles gar nicht' steht: Warum wir Kinder, Liebe und Karriere nicht vereinbaren können.
Noch vor ihrer Einleitung haben die beiden Autoren Marc Brost und Heinrich Wefing eine paar Zeilen aus 'Vier Leben' von Bosse gesetzt. In dem Stück, dass im Juli 2014 als Single aus 'Kraniche – Live in Hamburg' ausgekoppelt wurde, beschreibt der Sänger den Stress der heutigen Zeit. Wo du nie wirklich da bist, sondern nur überall dabei: „Immer zehntausend Dinge auf einmal und nichts wird fertig./ Starkstrom an und nie aus./ Menschenmeer und ich menschenleer./ Und ich renn, ich renn, ich renn, ich renn, ich renn./ Als hätten wir vier Leben, doch wir haben nur eins.“
So sehen auch die beiden Autoren im Kern der Unvereinbarkeit von Kindern, Beruf und Liebe vor allem ein Zeitproblem. Darum heißt das erste Kapitel über die Gründe der Vereinbarkeitslüge auch 'Tempo'. Zum Beispiel zeigen Statistiken laut Brost und Werfing, dass verheiratete Männer durchschnittlich sechs Stunden weniger in der Woche arbeiten als vor 50 Jahren. Gleichzeitig ist die Arbeitszeit der Partnerinnen aber gestiegen, so dass beide zusammen viel weniger Zeit für die Familie haben. Das Ergebnis fassen sie so zusammen: „Wir arbeiten mehr. Und lieben weniger.“
Capitalism kills love
Wobei Zeit natürlich auch Geld ist. Das entsprechende Kapitel zu diesem Grund der Vereinbarkeitslüge heißt 'Kapitalismus'. Auch hier unterfüttern die beiden Journalisten ihre Aussagen mit weiteren Studien, auch wenn sie diese nicht immer haarklein in ihrem Literatur-Verzeichnis ausweisen. Jedenfalls ist für sie eines klar: „Inzwischen verdienen viele Jüngere so wenig, dass sie, wenn sie zwei oder mehr Kinder haben, auch zwei Einkommen brauchen, um sich ein Leben oberhalb des Existenzminimums zu sichern.“
Die Vereinbarkeitslügner sitzen folglich in den Chefetagen und in der Politik. Und sie sind auch '… unter den Frauen' verbreitet, wie ein eigenes Kapitel zeigen soll. Denn das Eingeständnis von Vätern und insbesondere Müttern, dass das Austarieren der Work-Life-Balance selten besonders gefördert wird und somit nicht gerade leicht fällt, kann aus feministischer Sicht als Rückschritt kritisiert werden.
Auch wenn das letzte Kapitel 'Statt einer Lösung' heißt und eher dafür plädiert, es selbst ruhig angehen zu lassen, identifiziert das Duo schließlich doch noch einmal zusammenfassend am Ende, worauf jede(r) Einzelne so gut wie möglich Einfluss nehmen sollte: „Es braucht gesellschaftliche Veränderungen, politische Reformen, ein Umdenken in den Unternehmen.“
Fazit: Mit 'Geht alles gar nicht – Warum wir Kinder, Liebe und Karriere nicht vereinbaren können' stoßen Marc Brost und Heinrich Wefing die alte Diskussion an, wie wir leben wollen. Persönliche Interviews zwischen den analytischen und dennoch leicht verständlichen Kapiteln machen das Ganze mit teilweise berührenden Beispielen greifbar. Dass sie vor allem aus der Sicht der Väter berichten, schmälert dabei nicht die Position der Mütter. Denn nur gemeinsam kann etwas verändert werden.
Das Buch ist bei Rowohlt erschienen und seit 27. März 2015 im Handel erhältlich. Mehr Infos und Leseprobe: http://www.rowohlt.de/buch/Marc_Brost_Geht_alles_gar_nicht.3148997.html
Das könnte dazu passen:
Bosse – Kraniche (Studio-Album 2013)
Bernhard Schlink – Die Frau auf der Treppe (Roman)