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15. Juni 2020 1 15 /06 /Juni /2020 21:02

„Das Jahrtausend
Begann lausig.
Es gab keinen Computerbug.
Es gab keine verdammte Katastrophe.“

Cover zum Sachbuch "Nerds retten die Welt" von Sibylle Berg

So schreibt es Sibylle Berg zwar in den ersten Sätzen ihres Romans 'GRM Brainfuck' von 2019. Glaubt sie  aber selbst nicht. Wahrscheinlich. Immerhin heißt ihr vor ein paar Monaten veröffentlichtes Sachbuch 'Nerds retten die Welt'. Klingt doch global katastrophal. S.O.S., Help, Mayday! Zur Einordnung, wie schlimm es um uns bestellt ist, führte sie für das Schweizer Magazin 'Republik' während der Arbeit an ihrem Roman – wie im Untertitel angegeben – 16 'Gespräche mit denen, die es wissen'.

Die einizige Gemeinsamkeit der diversen Wissenschaftler*innen dürfte dabei sein, dass Berg sie interviewt. Hat. Egal. Dieses Buch ist trotzdem oder gerade deshalb interessant für alle, die „... besser gewappnet sein wollen für das, was auf uns zukommt.“

„Mehr Wissenschaft für alle!" Das ist der Grund, warum sich Sibylle Berg diese Gespräche ausgedacht hat, wie sie Robert Riener sagt. Die Forschungsschwerpunkte des Professors sind 'Interaktion von Mensch und Maschine, Erforschung menschlicher Bewegungssynthese, Biomechanik sowie virtuelle Realitäten'. Allein das klingt doch schon vielversprechend.

„Haben Sie sich heute schon um den Zustand der Welt gesorgt?“, fragt ihn Berg einleitend. So oder zumindest inhaltlich immer so ähnlich beginnt sie jedes der nun in Buchform zusammengestellten Gespräche. Die Antworten der befragten „Nerds“ fallen dabei durchaus unterschiedlich aus. Vielleicht liegt es daran, dass es „... auf komplexe Fragen keine einfachen Antworten gibt“, wie Berg selbst am Ende in ihrer Danksagung schreibt. Umso wichtiger ist es, denen eine Plattform zu bieten, die „... die Welt durch Wissen retten wollen!“

Read more, learn more, change the Globe!

Zum Teil sind die Gespräche mit soviel Wissen verbunden, dass einige darin verwendete Begriffe dadurch vertieft werden, dass Hyperlinks (dank QR-Codes) zu weiteren Informationen führen. Denn wer weiß schon, was mit unter anderem Ektogenese (Empfängnis und Geburt, ohne dass Frauen involviert sind), Mikrosatelliten-DNA (der nicht-codierte Teil der DNA) oder Femizid (gezielte Beseitigung weiblicher Föten und Babys) gemeint ist? Oder was sonst so für Bezüge hergestellt werden?

Die Philosophin und Professorin für Mediensoziologie Jutta Weber, deren Forschungsschwerpunkte Mensch-Maschine-Interaktionen und Aspekte digitaler Kriegsführung sind, erwähnt unter anderem die Biologin, Philosophin und Technikforscherin Donna Haraway. Sie hat schon in den Achtzigern „... über die Etablierung einer 'New World Order' geschrieben, in der Wissenschaft, Technik, Ökonomie, Politik sich untrennbar verweben.“

Interessant findet Berg im Gespräch mit Weber auch, dass es „... zu einem von Haraways Schlüsselwerken, dem 'Cyborg Manifesto', nicht einmal einen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag gibt. So weit zur Sichtbarkeit von Frauen in den Wissenschaften.“

Wie lautet eigentlich Sibylle Bergs zweiter Vorname?

Wenigstens hat Haraway einen Eintrag bei Wikipedia.de, wohingegen mehr als die Hälfte der interviewten Wissenschaftler*innen (noch) keinen haben. Immerhin gibt es jetzt mit 'Nerds retten die Welt' eine Quelle, die dort als Referenz für die Relevanz dieser Personen angegeben werden könnte.

Die Leser*innen erhalten auf diesem Wege allerdings nicht nur mit dem Sachbuch Einblick in die für sie wahrscheinlich ungewöhnlichen Wissensgebiete, sondern erfahren auch hier und da natürlich etwas über Berg selbst. Bei Jutta Weber sagt Berg zum Beispiel, dass Sorge ihr „zweiter Vorname“ sei. Die meisten von ihr Interviewten können das durchaus nachvollziehen und bejahen ihre oben erwähnte Eingangsfrage nach dem besorgniserregenden Zustand der Welt.

Bloß der Systemtheoretiker und -biologe Lorenz Adlung, die Politologin Dr. Emilia Zenzile Roig, die über Prozesse der intersektionellen Diskriminierung promoviert hat, sowie die Historikerin Richter verneinen. Bei der emerierten Kunst-Profssorin Lynn Hershman Leeson merkt Berg an, dass sie diese verneinende Antwort der anderen Gesprächspartner*innen „... sehr verstört hat.“

Doch wollen wir nicht vergessen, dass Berg mit diesen Gesprächen auch ihr letztes Tabu brechen wollte und deswegen ihre erste optimistische Kolumne geschrieben hat. Zudem haben das Buch jetzt so viele Leute gekauft (und vielleicht gelesen), dass es sich mehrere Wochen in der vom Fachmagazin 'buchreport' ermittelten Bestseller-Liste hielt. Das alles sollte Hoffnung machen.

'Nerds retten die Welt' ist seit 5. März 2020 im Verlag Kiepenheuer&Witsch (KiWi) erhältlich. Mehr Infos, Leseprobe etc.: https://www.kiwi-verlag.de/buch/sibylle-berg-nerds-retten-die-welt-9783462054606

P.S.: Das Cover-Artwork für 'Nerds retten die Welt' stammt übrigens wie bei 'GRM' von Claus Richter, mit dem sie erstmals 2016 an der von ihr geschriebenen und von ihm ausgestatteten Performance-Show 'Wonderland Ave.' zusammenarbeitete.

Und hier ist noch der Trailer zum Buch mit Musik von Andreas Reihse (wahrscheinlich der von der Band Kreidler, mit der sie schon zusammengearbeitet hat):

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